Die Privatisierung der Welträume

 

Kleemanns Gemälde haben eine Grundstruktur, die sich seit Anbeginn in seinen Arbeiten charakteristisch fortsetzt. Sie besteht aus farbtechnisch raffiniert gestalteten horizontalen Verwischungen, deren vertreibender Pinselduktus die linearen Elemente unscharf macht, sie partiell verschwimmen lässt. Hier überlagern sich Farbtöne, einer über dem anderen, sie verdichten sich, um wieder transparent auseinander zu gehen.

Innerhalb dieser Verwischungen gibt es unzählige Abstufungen, die Kleemann in mühevoller und langwieriger Arbeit geduldig umsetzt. Dabei lässt er sich Freiräume für die malerische Zufälle: „Ich will den Zufall dosiert zulassen. Man darf nicht alles ausformulieren, sondern muss auch Räume lassen für den Betrachter.“ Die gestische Abstraktion und prozessbestimmte Verteilung dieses malerischen Zufalls führen zu einer gleichmäßigen Bildoberfläche bei der schlussendlich kein Element ein größeres Gewicht hat als das andere.

Kleemann malt dabei möglichst glatt und glossy und vermeidet den grobenPinselstrich. Es gibt fein säuberlich aufgetragene Farblinien, diffus schwebende, hauchzarte, flächige wie auch punktuelle Verwischungen, lamellenartige, kontrastreiche Linienstrukturen, scheinwerferartige Lichtkegel, streifende, diagonale Fluchtlinien und fensterartig eingebaute Flächen, die manchmal erst richtig sichtbar werden, wenn das Gemälde mit einem anderen Licht angestrahlt wird.

 

Blickt man auf die verwischete Grundstruktur der Gemälde, assoziiert man entfernt ein durch die Geschwindigkeit verschwommen aufgenommenes Foto aus einem schnell fahrenden Zug. Doch dieser Vergleich wirkt genauso schnell als zu kurz gegriffen: „Es sieht zwar nach 230 km/h aus, tatsächlich sind es aber 3 km/h im Malprozess“, ergänzt der Maler.

Allein der Begriff der Geschwindigkeit ist zwar relevant für den Eindruck von Bewegung, der Aspekt der Vergänglichkeit durch die Bewegung in der Zeit spielt aber eine wichtigere Rolle. Dieses Vanitasmotiv des permanenten Wechsels wird besonders in dem Moment sichtbar, in dem die Gemälde mit einem anderen Licht beleuchtet und besehen werden.

Plötzlich erscheinen Schatten, die vorher nicht sichtbar waren, Rottöne changieren zu Schwarz, ein sattes Grün wird plötzlich zu Braun, die Ölfarbe wird partiell transparenter, an anderen Stellen dichter, schimmernde Farbfelder tun sich auf, die vorher unsichtbar in den dichten Farbschichten versteckt lagen. Diese Farbveränderungen stehen im Zusammenhang mit der Temperatur der Lichtquelle, die das Gemälde anstrahlt.

So verweist Kleemann in zweifacher Hinsicht auf den (Bild-)Raum vor dem Bild: den der Lichtquelle und den des Betrachters, in dessen Auge sich die Farbwechsel vollziehen und der somit auf seinen Wahrnehmungsprozess hingewiesen wird.  Der Raum in dem er sich bewegt und das Bild betrachtet, wird auf einmal wichtig für den visuellen Gesamteindruck und entpuppt sich als zum eigentlichen Leinwandbild mit dazugehörend.

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© Rainer Kleemann